Gentrifizierung findet Stadt

Die wissenschaftliche Identifizierung der Gentrifizierung erfolgte 1964 durch die Soziologin Ruth Glass. Sie nutzte den Begriff um die spezielle Form des Wandels von Nachbarschaften zu beschreiben. Im Londoner Arbeiterstadtteil Islington beobachtete sie, wie das Gebiet bei einer wohlhabenden Mittelschicht zunehmend beliebter wurde. Der Zuzug der Besserverdienenden, trieb die Preise auf dem lokalen Immobilienmarkt in die Höhe. Die Folge waren steigende Mieten, Kündigungen, Zwangsräumungen, Luxusneubauten, hochpreisige Geschäfte und die Verdrängung der ärmeren Wohnbevölkerung. In gentrifizierten Wohnvierteln entwickelt sich oft eine intensive und sich selbst verstärkende Eigendynamik, welche sich auf umliegende Stadtteile ausbreitet. Damals war die Gentrifizierung noch ein seltenes Phänomen, heute ist sie zu einem globalen Muster der Stadtentwicklung in Metropolen geworden.

Die Faktoren, welche die plötzliche Nachfrage nach (ehemals) unattraktiven Wohngebieten auslösen sind vielfältig. Sie sind sowohl in einer gewandelten Nachfrage der Wohnungssuchenden, als auch in den veränderten Immobilien- und Investmentstrategien zu finden. So können etwa stadtpolitisch initiierte Aufwertungsprogramme, neu angesiedelte Großunternehmen, immobilienwirtschaftliche Spekulationsstrategien, aber auch neue Wohnpräferenzen oder Kultur-Projekte die Gentrifizierung auslösen. Wenngleich sich die Anlässe unterscheiden, liegt die Ursache in der vorherrschenden Organisationsweise der Wohnraumversorgung. In der kapitalistischen Verwertungslogik orientiert sich, das Angebot an den höchsten Gewinnen und den geringsten Risiken. Der Markt schafft daher weder günstigen Wohnraum, noch besteht ein Interesse diesen zu erhalten. Stattdessen bedeutet eine Verbesserungen der Wohnlage, eine Wertsteigerung für die Eigentümer*innen, welche sie durch Verkauf oder Neuvermietung abschöpfen.

Seit der Finanzkrise verteuert sich der Kölner Immobilienmarkt spürbar. Die Verunsicherung auf den Börsen hat zu verstärkten Ankäufen von Immobilien geführt. Köln gilt als sichere Geldanlage mit guter Rendite. Seit 2008/2009 steigen die Preise für Eigentum um jährlich fast 10% (Wohnungsbau in Köln 2014). Das lässt weiterhin steigende Mieten erwarten, da die Rendite reingeholt werden muss und die Nachfrage von Wohnungssuchenden ungebrochen hoch ist. Dabei sind die Mieten in Köln bereits die Höchsten in ganz NRW. Neun der zehn teuersten Stadtteile des Bundeslandes liegen in Köln (KStA 26.08.16). Waren die Mietkosten in Köln lange durch den Gegensatz zwischen der linken und rechten Rheinseite geprägt, wurde die Gentrifizierung inzwischen auch in Deutz und Mülheim wissenschaftlich belegt (Kölner Gentrification Studie). Auf Wohnungssuchende wirken die Mietpreise wie unsichtbare Stadtmauern. Vor dessen Torburgen haben die Markler*innen und Eigentümer*innen mit grimmiger Miene bereits Wache bezogen. Ihrer argwöhnischen Prüfung besteht nur wer über ein gutes Einkommen und stabile Lebensverhältnisse verfügt. Es manifestiert eine Machtasymmetrie, welche Diskriminierungen leicht macht. Im Februar wurde bekannt, dass Mitarbeiter der GAG und des Wohnungsamts für die Vermittlung von Wohnungen an Geflüchtete ein Bestechungsgeld von 3.000€ erpressten (KStA 10.02.17).

Eine Entspannung der Situation ist nicht in Sicht und die Stadt Köln ist denkbar schlecht auf die sich verschärfende Gentrifizierung vorbereitet. Die Privatisierung von städtischen Immobilien und Flächen, die Gewinnorientierung der GAG, sowie ein sich erschöpfendes Flächenpotenzial, trifft auf eine jahrelange Relativierung der Gentrifizierung, auf fehlende Mileuschutzsatzungen (allein Berlin hat 44) und halbherzige Bemühungen der Kommunalpolitik den entfesselten Marktkräften entgegen zu treten. Fast wirkt es so, als würde die Verdrängung der Armen und Marginalisierten aus der Stadt, als angenehmer Nebeneffekt für die Entlastung der politischen Verantwortung und kommunalen Finanzen gesehen. Eine solche Sichtweise verleugnet jedoch die zentrale Bedeutung der Wohnungsfrage: Wie ist der Bau von Büro- und Luxusquartieren zu legitimieren, wenn es tausenden Menschen am Grundsätzlichsten mangelt? Wenn immer noch Geflüchtete in Turn- und Leichtbauhallen leben müssen? Wenn jedes Wintersemester Notschlafstellen für Studierende eingerichtet werden und Obdachlose auf der Domplatte schlafen? Solange Köln nicht in der Lage ist den Artikel 25 der UN-Menschenrechtscharta zu erfüllen, der jedem Menschen das Recht auf eine menschenwürdige Wohnung zuspricht, solange stellt jeder Neubau der nicht diesem Ziel dient ein Gerechtigkeitsproblem dar.

Aber Gentrifizierung ist kein Naturgesetz. Es spricht viel dafür Wohnraum nicht als Ware, und Stadt nicht als Produkt anzusehen, sondern als Lebensgrundlage und Gemeinwesen. Die Verdrängung im Zuge der Gentrifizierung bedeutet folglich, die Zerstörung von Nachbarschaften, die Entwurzelung der Bewohnenden und die Erosion des Gemeinsamen. Diesem Verständnis nach geht es nicht allein darum, eine bessere Anpassung des Wohnraumangebotes an die prekären Einkommensverhältnisse der Nachfrage-Gruppen zu erreichen, sondern auch darum die Resilienz der Nachbarschaften gegenüber der Gentrifizierung zu stärken. Ein Schlüsselelement auf dem Weg zu einer solidarischen Stadt ist die Demokratisierung der (Wohn)-Raumfrage. Hier zeigen selbstorganisierte Freiräume, wie die Wagenplätze oder das Autonome Zentrum was überall möglich sein könnte.

Veröffentlicht als Gastbeitrag im Platzjabbeck 04/2017

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