Gentrifizierung am Pulverturm

Neben der Gründerzeitarchitektur gibt es, am Puverturm in Mülheim, viele Häuser aus 50er/60er Jahren. Das spiegelt die Geschichte Mülheims als Arbeiter*innenstadtteil wider. Genauso wie die sozio-demographischen Merkmale: Im Jahr 2014 hatten 51,2% der Mülheimer*innen einen Migrationshintergrund und 24,4% bezogen Leistungen nach dem SGB-II. Damit lag der Stadtteil deutlich über den Kölner Durchschnitt (35,7% und 13,4%). Aus diesen Daten wird der besondere Förderungsbedarf des Entwicklungsprogrammes Mülheim 2020 begründet. Mit der Aufwertung soll die Attraktivität des Stadtteils für die Mittel- und Oberschicht der Gesellschaft gesteigert werden – mit Folgen für die einkommensschwächeren Bewohner*innen.

Zwischen 2010 und 2014 gab es eine wissenschaftliche Untersuchung zur Gentrifizierung in Köln-Deutz und Mülheim. Unter anderem wurde das Wohngebiet südlich der Mülheimer Brücke untersucht. Unter Gentrifizierung wurde dabei eine Form des Austausches der Wohnbevölkerung in einem Gebiet verstanden, bei dem der Anteil von statusniedrigen Bewohner*innen (Einkommen/Bildung) zu Gunsten von Statushöheren abnimmt. Die Studie bestätigte die Vermutungen, wonach sich Mülheim in einer frühen Phase der Gentrifizierung befindet. Es gibt relativ hohe Mietsteigerungen. Bisher beschränkt sich die Gentrifizierung in Mülheim auf einzelne Cluster, diese breiten sich aber aus.

Eines dieser Cluster sind die luxuriösen Neubauten am Rhein. Hier kosten die Mieten mehr als 14€/qm. Mindestens eine Wohnung darin wird dauerhaft als Ferienwohnung angeboten, für 100-120€ pro Nacht. Gebaut wurden die Luxuswohnungen von der „Modernes Köln GmbH“ (auch „Moderne Stadt GmbH“). Sie sind sowohl Bauträger, als auch die Stadtentwicklungsgesellschaft, der Stadt Köln und der Kölner Stadtwerke. Sie waren unter anderem am Bau des Rheinauhafens und des Cloth-Quartiers beteiligt. Aktuell arbeiten sie an der Neuplanung des Deutzer Hafens. Im Aufsichtsrat sitzen die Politiker*innen aller großen Parteien (außer der Linken). Damit baut die stadteigene Gesellschaften an der Gentrifizierung in Köln mit.

Vor Ort werden man auch die höheren Sicherheitsbedürfnisse der einkommensstärkeren Bewohner*innen in Form von Videoüberwachung, Zäunen und Mauern anschaulich. Zwar sind Gated Community in Deutschland selten, symbolisch grenzen sich Luxuswohnungen jedoch immer ab.

In den gegenüberliegenden Straßen sind die Mieten bislang geringer (wobei auch die Durchschnittsmiete für die befragten Wohnungen im Jahr 2010 bei 10€ lag). Starke Unterschiede zwischen den Mietpreisen in der Nachbarschaft sind nach der Rent-Gap Theorie ein Anzeichen für eine bevorstehende Gentrifizierung. Sie zeigen, dass sich die Lage soweit gebessert hat, dass höhere Mieten zu erzielen sind. Für die Eigentümer*innen von Bestandsimmobilien lohnen sich Investitionen in die Modernisierung und die Kündigung der alteingesessenen Mieterschaft immer stärker. Auch Neubauten auf Industriebrachen oder unbebauten Gebieten treiben die Mieten und die Anzahl der Kündigungen in der Nachbarschaft in die Höhe. Die Hafenstraße 19 ist ein gutes Anschauungsmaterial für diese Auswirkungen.

2008                                                                             2018

Zugleich erkennt man an dem Gebäude die Ästethik, welche weltweit in Städten mit Gentrification wiederzufinden ist. Typisch ist die Verbindung von historischen und gehobenen, modernen Gestaltungselementen. Zum einen gibt es bodentiefe Fenster, ausgebaute Dachgeschoße mit Maisonette. Zum anderen wird das alte Mauerwerk quasi eingerahmt und somit die Historizität des Gebäudes zur Schau gestellt. Damit wird sich symbolisch von den seriell konstruierten 08/15 Neubauten abgegrenzt und ein kulturelles Bewusstsein nach Außen demonstriert. Die Fassaden werden somit zu einem Ausdruck des eigenen Lebensstils. Vorausgesetzt man hat die finanziellen Freiräume, seinen Lebensstil derart zu zeigen. Aber die Betonung von „Authentizität“ ist auch eine immobilienwirtschaftliche Verkaufsstrategie, mit der sich höhere Preise erzielen lassen. Unter der Prämisse der Vermarktungsfähigkeit wird sehr selektiv ausgewählt, welche Aspekte der Geschichte des Ortes zu sehen sein sollen und welche abgerissen werden (siehe KHD Gelände).

Gentrifizierung ist eng verbunden mit Immobilienspekulation. Altbauten (besonders aus der Gründerzeit) steigen auch ohne jede Investition in ihrem Wert. Allein weil sich die Lage gebessert hat, was auch ein Ergebnis des neuen Rheinboulevards ist. Früher stand hier die Außenkulisse für die WDR Soap „Die Anrheiner“. Zeitweise wurde das Gelände vom Bauwagenplatz Wem gehört die Welt besetzt, bis sie wegen Hochwasser den Platz aufgeben mussten. Seit 20 Jahren sind sie jetzt an der Krefelder Straße in der Innenstadt. Aber der Platz ist bedroht weil die Stadt das Gelände verkaufen möchte.

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